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Sprech- und Sprachstörungen - Logopädie bei Kindern
Der Begriff “Logopädie” kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie “Sprecherziehung”. 1924 hat der Wiener Arzt Emil Fröschels damit erstmals die medizinische Sprachheilkunde bezeichnet. Heutzutage ist das Fachgebiet der Logopädie wesentlich breiter gefächert, da sprachliche Defizite viele verschiedene Ursachen haben können. Dazu zählen Beeinträchtigungen der Sprache, des Sprechens, des Hörens, der Stimme und des Schluckens.
In Österreich ist die Ausbildung im Bereich der Logopädie seit 2006 hochschulpflichtig und daher nur mehr an Fachhochschulen möglich.
Die Aufgabe von Logopäden ist es, Sprach- und Sprechstörungen zu diagnostizieren - bei Bedarf in Zusammenarbeit mit Medizinern - und in weiterer Folge die Betroffenen und ihre Bezugspersonen zu beraten und zu therapieren.
Sprechen können vs. Sprachgebrauch - der kindliche Spracherwerb als Zusammenspiel vieler Entwicklungsschritte
Die ersten Grundsteine für das spätere Sprachvermögen eines Kindes werden schon gegen Ende des ersten Lebensjahres gelegt. Ein Baby beschäftigt sich mit seiner Umwelt, indem es beobachtet und mit den Händen Personen und Gegenstände “erfasst”. Es ahmt Sprachgeräusche und Gesten nach und versteht erste Wörter. So kann es bereits mit einfachen Mitteln mit seiner Umgebung kommunizieren, z.B. mit Winken.
Zu diesem Zeitpunkt geht das Kind noch davon aus, dass es selbst und seine Bezugspersonen ständig die selben Wahrnehmungen und Gedanken haben. Es sieht sich noch als Teil der Mutter bzw. der Bezugsperson und noch nicht als eigenständige Persönlichkeit.
Zwischen 12 und 18 Monaten beginnen Kleinkinder, bewusst Wörter zu sagen und Ein-Wort-Sätze zu verwenden. Dabei ist von Bedeutung, wie das Kind seinen Sprachschatz einsetzt. Wenn es “Ball” sagt, sobald es einen Ball sieht, bedeutet das nur, dass es dem Gegenstand das passende Wort zuordnen kann. Sagt es aber auch “Ball”, wenn es einen Ball haben möchte oder sucht, oder sich in einer bestimmten Situation an einen Ball erinnert, ist das ein Zeichen für richtigen Sprachgebrauch. Das Kind stellt sich einen Gegenstand vor oder ruft die Erinnerung daran ab, und benennt ihn dann, um seiner Umwelt mitzuteilen, woran es gerade denkt.
Dies zeigt auch einen wichtigen Entwicklungsschritt im Kleinkindalter an. Das Kind hat durch seine verbesserten motorischen Fähigkeiten entdeckt, dass es sich von seiner Mutter entfernen kann, aber auch dass diese sich von ihm entfernen kann. Es erkennt, dass seine eigenen Wünsche und Gedanken nicht immer die selben sind wie die der Personen in seinem Umfeld. Es entdeckt sich schrittweise als eigenständige Person. Dadurch entsteht das Bedürfnis, sich und seine Gedankenwelt seinem Gegenüber mitzuteilen.
Das äußert sich auch durch den triangulären Blickkontakt. Das Kind sieht einen Gegenstand an und danach sein Gegenüber, um zu sehen, welche Reaktion der Gegenstand bei der anderen Person auslöst.
Der aktive Sprachschatz umfasst bis zum Alter von eineinhalb Jahren durchschnittlich rund 10-20 Wörter.
Mit dem weiteren Ausbau des Sprachschatzes beginnt das Kind in der zweiten Hälfte des zweiten Lebensjahres mit der Verwendung von Zwei-Wort-Sätzen, um einen Zustand, einen Wunsch oder ein Bedürfnis zu beschreiben. Es formuliert auch die ersten Fragen (“Papa Arbeit?”).
Das Kind lernt, Sprache zu verwenden, um etwas zu bewirken. Dabei ist es nicht mehr nötig, dass der bezeichnete Gegenstand bzw. die Person im Sichtfeld des Kindes ist. Es fragt beispielsweise nach Essen wenn es hungrig ist und nicht nur mehr dann wenn es etwas zu essen sieht.
Im dritten Lebensjahr erkennt das Kind immer mehr den Sinn von Sprache. Es beginnt Fragen zu stellen und kann bereits Mehrwortsätze korrekt bilden. Im Alter von rund vier Jahren verwendet ein Kind in der Regel Sprache grammatikalisch bereits wie ein Erwachsener und erweitert nur mehr kontinuierlich den Wortschatz. Nur die Laute “sch” und “r” können Kinder in diesem Alter oft noch gar nicht oder nicht richtig aussprechen.
Aufgrund dieser rasanten Sprech- und Sprachentwicklung bei Kindern ist es ratsam, bei Auffälligkeiten oder Beeinträchtigungen so früh wie möglich logopädische Beratung einzuholen. Logopäden können je nach Art der Sprech- oder Sprachschwierigkeiten bereits im Kleinkindalter eine Beurteilung des Entwicklungsstandes durchführen sowie bei Bedarf erste therapeutische Maßnahmen setzen.
Sprech- und Sprachstörungen - erste Merkmale
In manchen Fällen liegen eindeutige organische Anomalien vor, die bereits im Säuglingsalter eine spätere Sprechstörung erkennbar machen. Dazu zählen beispielsweise Muskelerkrankungen, Störungen des zentralen Nervensystems, ein beeinträchtigtes oder nicht vorhandenes Hörvermögen sowie Fehlbildungen im Bereich des Mundes oder des Stimm- und Schluckapparates. In diesen Fällen können bereits in den ersten Lebensmonaten unterstützend logopädische Therapien in Kombination mit der Beratung der Bezugspersonen zur Anwendung kommen.
Bei einer Untersuchungsreihe, die vor einigen Jahren in Oberösterreich durchgeführt wurde, hat sich zudem gezeigt, dass viele Kinder zwischen 4 und 6 Jahren fehlerhafte Zungenstellungen und/oder eine unterentwickelte Muskulatur im Mundbereich aufweisen. Dadurch entstehen in weitere Folge Zahnfehlstellungen, Atem- und Schluckprobleme und dadurch wiederum Schwierigkeiten bei der Lautbildung.
Betroffene Kinder haben den Mund meist leicht geöffnet, atmen durch diesen statt durch die Nase und leiden dadurch vermehrt an Erkrankungen im Nasen-, Rachen- oder Ohrenbereich.
Als Ursache dafür sehen Experten eine langjährige Verwendung von Schnullern sowie der überwiegende Genuss von weichen, breiartigen Speisen bis ins Kleinkindalter hinein. Dadurch kommt es zu einer falschen Zungenposition bzw. werden die Kaumuskeln nicht ausrechend beansprucht, was in weitere Folge zu Störungen des Sprechablaufs führt.
Es kann aber auch zu verzögerter oder gestörter Entwicklung des Sprachvermögens kommen, wenn es keine organischen Ursachen für ein vermindertes Sprech-, Schluck- oder Hörvermögen gibt. Meistens gehen diese Störungen mit Defiziten in anderen Bereichen wie der Motorik und/oder der psychosozialen Entwicklung einher. Lernt ein Kind beispielsweise erst sehr spät sich fortzubewegen, verzögert sich möglicherweise auch die Entwicklung hin zum “Ich”. Dadurch fehlt das Bedürfnis, sich anderen Personen mitzuteilen, was in weitere Folge zum fehlenden Interesse an Sprache und Sprechen führt.
Zu Beginn des vierten Lebensjahres beginnen auch die in ihren sprachlichen Fähigkeiten eingeschränkten Kinder zu sprechen, da Kinder in diesem Alter die Fähigkeit entwickeln, Phrasen oder Satzteile nachzusprechen und sie bestimmten Situationen zuzuordnen. Der Unterschied zum tatsächlichen Sprachgebrauch ist auch hierbei, dass ein unmittelbarer Bezug zum Gesagten bestehen muss. Außerdem wandeln betroffene Kinder die Wörter oder Ausdrücke nicht ab, sondern verwenden sie auf die selbe Weise in immer wieder den selben Situationen.
Ein weiterer Hinweis auf Defizite in der Sprachentwicklung besteht darin, dass Kinder mit Sprach- oder Verständnisschwierigkeiten diese mit viel Sprechen zu überdecken versuchen. Im Alter von 4 bis 5 Jahren ist dieses Phänomen bei Betroffenen besonders stark ausgeprägt. Sie stellen beispielsweise viele Fragen, ohne jedoch tatsächliches Interesse an einer Antwort zu haben, und sie kommentieren ihr Tun wortreich, ohne dabei etwas bewirken zu wollen.
Dabei bilden sie allerdings meist fehlerhafte Sätze, können verschiedene Laute nicht korrekt aussprechen oder lassen sie weg, weisen einen unterdurchschnittlichen Wortschatz auf und zeigen kein Interesse an einer aktiven Ausweitung ihrer sprachlichen Fähigkeiten.
In vielen Fällen setzt sich dieses fehlende Interesse an Sprache auch beim Schreiben fort. Betroffene Kinder haben oft Schwierigkeiten beim Schreiben und Lesen, vertauschen Buchstaben oder reproduzieren sie fehlerhaft.
Logopädische Therapiemöglichkeiten bei Kleinkindern
Beobachten Eltern oder Bezugspersonen Auffälligkeiten beim Sprechen oder im Gebrauch der Sprache, oder haben sie Bedenken aufgrund verzögerter Sprachentwicklung, empfiehlt sich der Kinderarzt als erster Ansprechpartner. Er kann den Entwicklungsstand des Kindes beurteilen und bei Bedarf an einen Logopäden verweisen.
Experten empfehlen bei folgenden Auffälligkeiten, die Sprachentwicklung eines Kleinkindes überprüfen zu lassen:
- Wenn das Kind im Alter von 2 Jahren weniger als 50 Wörter beherrscht.
- Wenn es im Alter von rund 4 Jahren so undeutlich oder fehlerhaft spricht, dass Außenstehende es nicht verstehen können.
- Wenn es mit 5 Jahren noch keine korrekten Sätze bilden kann
Ein Logopäde macht sich zu Beginn ein Bild des Sprach- und Sprechvermögens des Kindes. Dies geschieht meist durch Beobachtung beim Spielen. So kann festgestellt werden, ob und wie das Kind Interesse an seiner Umgebung sowie an den Personen in seiner Nähe zeigt und wo etwaige Defizite liegen.
Die nachfolgende Therapie zielt darauf, beim Kind Interesse für seine Umwelt zu wecken, ihm sprachentwicklungsfördernde Spiel- und Interaktionsmöglichkeiten zu zeigen und es zu bestärken, sich Sprache als Werkzeug anzueignen, um bestimmte Reaktionen bei seinem Gegenüber zu erzielen.
Dabei ist das Spiel ein wichtiges Element. Spielerische Übungen zur Förderung der sprechrelevanten Motorik gehören ebenso dazu wie Lieder und Reime zur Übung von Lauten und Wörtern.
Allgemeingültige Therapieansätze gibt es nicht. Für jedes Kind wird ein individueller Therapieplan zusammengestellt. Die beim Logopäden erlernten Übungen und Spiele sollen zudem auch zuhause weitergeführt werden, um die Erfolgsaussichten der Therapie zu steigern.
Zudem werden die Bezugspersonen hinsichtlich einer optimalen Förderung des betroffenen Kindes beraten. Es werden ihnen Wege aufgezeigt, den Alltag für das Kind so zu gestalten, dass es Interesse an Gegenständen und Personen entwickelt und sich mitteilen möchte.
Experten raten, sich bewusst Zeit für das Kind zu nehmen, es zu ermutigen, Erlebtes mit eigenen Worten wiederzugeben und ihm Zeit zu geben, all seine Gedanken in Worte zu fassen. Übermäßiger Gebrauch von Radio und TV wiederum sind im Zusammenhang mit Sprachentwicklung kritisch zu betrachten, da sie eine einseitige Beschallung darstellen und nicht zu Kommunikation anregen - der Fernseher redet zu demKind und nicht mit dem Kind, es muss nicht auf das Gesagte reagieren und kann weder Fragen stellen noch beantworten.
Viele Eltern scheuen sich, einen Logopäden aufzusuchen, wenn sie Auffälligkeiten bei ihrem Kleinkind entdecken. Erst wenn das Kind zur Schule geht und Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben hat, wird der Experte hinzugezogen. Zu diesem Zeitpunkt ist eine Therapie aber ungleich schwieriger, da Sprache und Sprechgewohnheiten des Kindes bereits gefestigt sind und Entwicklungsrückstände nur langsam aufgeholt werden können.
Höhere Erfolgschancen bei frühzeitigem Therapiebeginn
Je früher mit einer Therapie begonnen wird, desto wahrscheinlicher ist ein Erfolg und desto leichter fällt es dem Kind, Gewohnheiten zu ändern oder seinen Sprachgebrauch spielerisch zu verbessern.
In diesem Zusammenhang ist es für die Bezugspersonen des Kindes auch wichtig, die Meinung Außenstehender zu berücksichtigen. Jemand, der den ganzen Tag mit einem Kind zusammen ist, versteht es auch trotz Sprech- oder Sprachschwierigkeiten und kommt damit vielleicht gar nicht auf den Gedanken, dass es von einer logopädischer Therapie profitieren würde.
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